Preisträger 2020: Dr. Georg Milbradt

Ein Friedenspreis, zwei Okönomen

Preisträger Dr. Georg MilbradtPreisträger Prof. Dr. Georg Milbradt

Auszeichnung Der frühere Ministerpräsident von Sachsen, Dr. Georg Milbradt, erhält den Scheidegger Friedenspreis, die Laudatio hält Dr. Hans-Werner Sinn. Was die beiden verbindet.

Beide sind Volkswirte, beide kennen sich seit vielen Jahren. Georg Milbradt wird am 3. Oktober den Scheidegger Friedenspreis er­halten, die Laudatio wird Hans­-Werner Sinn halten. Der eine war Ministerpräsident von Sachsen, der andere einer der bekanntesten Öko­nomen im deutschsprachigen Raum. „Wir haben selten so viel Prominenz an einem Abend im Kur­haus”, freut sich Bürgermeister Ul­rich Pfänner.

Der Scheidegger Friedenspreis wird heuer zum 12. Mal verliehen. Gedacht ist die Auszeichnung in Form einer weißen Friedenstaube für Personen, die sich für die Deut­sche Einheit eingesetzt haben. Inso­fern fällt Milbradt etwas aus dem Rahmen. Als er die Bühne der gro­ßen Politik betrat, war „die Einheit bereits vollzogen”, sagt Manfred Przybylski, der Stifter des Preises. Gleichwohl hat sich der Ökonom um die Einheit verdient gemacht.

Milbradt war von 1990 bis 2001 Fi­nanzminister des Freistaates Sach­sen. Als Fachmann für alle Wirt­schaftsfragen stellte er den Haushalt auf gesunde Beine. „Er war der Gottvater ,der Finanzminister im Osten”, beschreibt Przybylski die Bedeutung des 75-Jährigen. Der frühere Leiter des Bildungshauses der Konrad-Adenauer-Stiftung in Cadenabbia am Corner See kennt Milbradt seit vielen Jahren.

Der Ökonoin gilt als bescheidener, uneitler Mensch. Eine Eigenschaft, die nicht jedem Ministerpräsidenten ­zugeschrieben wird. Das Amt über­nahm Milbradt, als Kurt Biedenkopf 2002 als Landeschef in Sachsen ab­trat. Sechs Jahre lang war der heute 75-Jährige erster Mann in dem Frei­staat. Am Ende stolperte er über eine Affäre um die sächsische Landes­bank. Der Vater zweier Söhne, der vor seinem Wechsel in den Osten sie­ben Jahre lang Finanzdezernent der Stadt Münster war, ist heute außer­planmäßiger Professor für Volks­wirtschaftslehre in Dresden.

Laudator Hans-Werner SinnLaudator Prof. Dr. mult. Hans-Werner Sinn

Die Disziplin teilt er mit Hans-Werner Sinn. Beide gehörten zu den 136 deutschen Wirtschaftsprofesso­ren, die der Europäischen Zentral­bank vor sieben Jahren in einem Auf­ruf eine rechts­widrige Staatsfi­nanzierung vorwarfen. Der 72-jährige Sinn war lange einer der einflussreichs­ten Volkswirte der Republik. Auch wegen seiner pointierten Sprache ist der langjährige Leiter des Ifo-­Insitutes in München gefragter In­terviewpartner und häufiger Gast im TV. Wenige Vertreter seines Fachs wurden international so häufig zitiert wie er. Sinn kommt zum ersten Mal ins Westallgäu und hat auf Anfrage von Przybylski „sofort” für die Laudatio zugesagt. „Für uns ist es eine große Ehre, dass er zu uns kommt”, sagt Pfanner. Milbradt und Sinn ver­bindet im Übrigen noch etwas: Milbradt war der Doktorvater von Sinn in Mannheim.

Der 12. Friedenspreis markiert ei­nen Einschnitt. Manfred Przybylski, der die Auszeichnung gestiftet hat und bis heute die Kosten über­nimmt, wird sich danach von dieser Aufgabe zurück­ziehen. Angekün­digt hatte er das bereits vor einem Jahr. Die Kontak­te zu möglichen Preisträgern wird der 80-Jährige aber weiter herstellen. „Ohne das geht es nicht”, sagt Pfan­ner. Ob und wie die Gemeinde den Friedenspreis weiter verleiht, wird der Gemeinderat nach dem 3. Okto­ber diskutieren.

Dieser Artikel erschien im Westallgäuer, von Peter Mittermeier.

Bildnachweis Georg Milbradt: Von Original: bigbug21; Edited by: AM, CC BY-SA 2.5
Bildnachweis Hans-Werner Sinn: Von Romy Bonitz - ifo Institut, CC BY-SA 3.0

„Der Preis ist in hohem Maße angemessen”

Der frühere sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt hat den Scheidegger Friedenspreis erhalten. Warum Laudator Hans-Werner Sinn seinen Freund mit großen Staats-Reformer Montgelas vergleicht.

Wenn heute von „blü­henden Landschaften” im Osten die Rede ist, gilt das in erster Linie für Sachsen. Die Entwicklung des Frei­staates ist nicht zuletzt einem zu verdanken: Georg Milbradt. Der frühere Ministerpräsident aus Dres­den hat am Samstagabend im Kur­haus den Scheidegger Friedenspreis erhalten. „Der Preis ist im hohen Maße angemessen”, sagt Laudator Dr. Hans-Werner Sinn: „Wenn Sachsen funktioniert, gibt es keinen, der vor Georg Milbradt zu nennen wäre.” Der Ökonom kennt Mil­bradt seit einer gemeinsamen Zeit an der Uni in Münster.

Zum zwölften Mal hat Scheidegg den Friedspreis verliehen. In der Vergangenheit ist die Auszeichnung vor allem an Persönlichkeiten gegangen, die sich rund um den Mauerfall für die Einheit eingesetzt haben. In­sofern tanzt Milbradt aus der Reihe. Der Finanzwissenschaftler betrat die große politische Bühne später, setzte sich dann aber „wie kaum ein ande­rer für den Wiederaufbau ein”, wie es der Stifter des Preises, Manfred Przybylski, erklärt.

Kurt Biedenkopf holte Milbradt 1990 als Finanzminister in.das sächsi­sche Kabinett. Der Finanzwissen­schaftler hatte da nicht nur erste Me­riten an der Hochschule erworben, sondern auch schon praktische Erfahrungen gesammelt. Von der Uni war er als Kämmerer an die Stadt Münster gewechselt. In Dresden traf er erst einmal auf das „Chaos der un­tergegangenen DDR” (Sinn). Es gab keine politischen Strukturen ver­gleichbar denen im Westen, ja nicht einmal einen Freistaat Sachsen. „Be­hörden aufbauen, Gemeinden mit ei­ner Verfassung versehen, die ihnen Autonomie gab”, beschreibt Sinn die Herausforderungen. Und: „bas Rechtssystem musste aufgeschrieben und in praktische Politik umgesetzt werden”.

Sinn vergleicht die „großartige Leistung” Milbradts beim Aufbau des Ostens mit der von Montgelas. Das ist gleichbedeutend mit höchstem Lob. Graf Montgelas hat im 19. Jahrhundert die bayerische Verwaltung von grundauf modernisiert, nach ihm sind Straßen und Plätze benannt. Milbradt selber gewinnt der schwierigen Lage 1990 im Rück­blick durchaus etwas Positives ab. „Als Minister in München oder Ber­lin können sie nicht ganz von vorne anfangen. So ein Neuanfang ist ein großes Privileg”, sagt er. Er startete – finanzwirtschaftlich – ohne Altlasten. In seinem ersten Jahr als Fi­nanzminister baute Milbradt einen „theoretischen Haushalt” und stieg bei den Ausgaben niedrig ein. Das wirkt bis heute: Sachsen ist mit Bay­ern „leuchtendes Vorbild in Sachen Schuldendisziplin” (Sinn).

18 Jahre lang war Milbradt im sächsischen Kabinett, länger als je­der andere Politiker. Dabei hatte er nicht zuletzt die Städte und Gemein­den im Blick: „Als Minister bist Du wie der Fahrer eines Busses, der die Menschen sicher ans Ziel bringen soll. Aber der beste Fahrer versagt, weil das Lenkrad nicht mit den Rä­dern verbunden ist. Die Räder sind die Landkreise und Kommunen”. Den 30. Jahrestag der deutschen Einheit nennt Milbradt einen Freu­dentag. „Mit ihrer Solidarität, ih­rem Interesse und nicht zuletzt ih­ren Steuergeldern haben sie dazu beigetragen, dass wir ihn feiern kön­nen”, sagt er zu den Besuchern im Kurhaus.

Freilich sind 30 Jahre Einheit nicht nur Grund zur Freude. Darauf weist Sinn hin. Anders als sein Freund Milbradt ist der frühere Präsident des ifo-Institutes nie in die Politik gegangen. Er blickt mit den Augen eines kritischen Volkswirtes auf die Entscheidungen kurz nach der Wende. Und da sind aus seiner Sicht Fehler gemacht worden. Viel zu schnell wurden Löhne und Sozi­alleistungen im Osten an die im Westen angeglichen, argumentiert der 72-Jährige. Die Produktivität habe nicht Schritt gehalten. Das An­sinnen sei zwar moralisch berechtigt gewesen. „Leider ist die Marktwirt­schaft nicht moralisch. Es hat halt nicht funktioniert”, sagt Sinn mit Blick auf die produzierende Indus­trie. Dort sind 80 Prozent der Ar­beitsplätze weggefallen. Es hätte ei­nen anderen Weg gegeben, ist der Ökonom überzeugt. Viele Konzerne auch aus Asien wären bei einem niedrigeren Lohnniveau bereit gewesen, in der früheren DDR zu inv­estieren. Dazu kam es nicht, weil „westdeutsche Gewerkschaften und Arbeitgeber die Verhandlungen für Ostdeutschland führten”.

Das hat Folgen: Bis heute hängt der Osten am Tropf des Westens, 60 Milliarden fließen im Jahr als Trans­fer in die neuen Länder. Sinn: „Wir machen es gern. Es sind unsere Brü­der und Schwestern. Wir können es aber nicht beliebig weitertreiben”. Als Volkswirt gibt Milbradt sei­nem Freund Recht. Als Politiker widerspricht er ihm. „Wenn der politische Druck da ist, kann ich nur versuchen, das Beste daraus zu ma­chen”, sagt er. Wenn die Löhne steigen, müsse die Politik Branchen ansiedeln, die eine höhere Produkti­vität haben. In Sachsen ist das mit der Automobilindustrie und Chip­herstellern teilweise gelungen. „Sili­con Saxony” gilt als wichtigster Standort für die Halbleiterindustrie in Europa. Und auch in anderen Be­reichen habe der Osten, zumindest Sachsen, den Westen „ein- oder sogar überholt”, wie Milbradt sagt. Der 75-Jährige nennt Bildung und einige Technologiefelder. So steckt hinter dem neuen 5G-Mobilfunk­standard Forschung der Techni­schen Universität Dresden.

Anders als viele andere Aufbau­helfer ist Milbradt im Übrigen nicht in den Westen zurückgegangen. 1994 hat er sein Haus in Münster verkauft und ist mit seiner Familie nach Dres­den gezogen. Dort wohnt er noch heute. „Ich will nicht zurück. Die alte Heimat vermisse ich nicht.”

Dieser Artikel erschien am Montag, 5. Oktober 2020 im Westallgäuer, von Peter Mittermeier.

V. l. n. r.: Manfred Przybylski, Bürgermeister Ulrich Pfanner, Preisträger Georg Milbradt, Laudator Hans-Werner Sinn

Bürgermeister Ulrich Pfanner hat Georg Milbradt am Samstagabend im Kurhaus den Scheidegger Friedenspreis in Form einer weißen Taube aus Porzellan überreicht. Die Laudatio auf den früheren sächsischen Ministerpräsidenten hielt Hans-Werner Sinn (rechts). Der frühere Präsident des ifo-lnstitutes ist einer der einflussreichsten Ökonomen im deutschsprachigen Raum. Den Preis gestiftet hat Manfred Przybylski. Er kennt Milbradt seit vielen Jahren. (Foto: Antonia Sanchez-Przybylski)

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